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Volvo XC90: Die schwedische Krone

Egal ob die Schweden mittlerweile in chinesischer Hand sind, der Name Volvo steht weiterhin für Qualität, Sicherheit und kühle Ästhetik. Das soll sich natürlich auch in der Strom-Ära nicht ändern. Der Volvo XC90 will im Test beweisen, dass er auch als Plug-in-Hybrid T8 Recharge der schwedischen Krone würdig bleibt.

Fotos: Eryk Kepski

Auf dem Papier sieht es auf den ersten Blick nach einer klassisch gmahden Wiesn aus. 4,95 Meter Länge und ein Gewicht von knapp 2,3 Tonnen lassen sowohl Insassen als auch Passanten deutlich wissen, wer hier dem Ganzen die Krone aufsetzt. 455 Pferdestärken und 709 Newtonmeter Drehmoment Systemleistung düpieren locker auch mal einen Sportwagen. Auf den zweiten Blick fordert der Plug-in-Antriebsstrang aber ein paar Opfer. Statt eines großvolumigen V6 oder gar V8 werkelt unter der Haube ein Vierzylinderbenziner mit konservativen zwei Litern Hubraum. Der wuchtet auch alleine immer noch 310 PS und 400 Nm Drehmoment auf die Straße, ist also keineswegs schwächlich. Aber vom Klangbild und dem Prestige her kann er halt nicht mit einem Vielender mithalten.

Das bedeutet jedoch keineswegs, dass der XC90 T8 Recharge sich nicht standesgemäß fortbewegt. 5,4 Sekunden Sprintzeit krönen ihn zum flinksten seiner Gattung, auch wenn er beim Spitzentempo mit 180 km/h gegen die reinen Verbrenner keinen Stich macht. Das liegt aber nicht daran, dass er powertechnisch nicht könnte, sondern ist bei Plug-in-Hybriden eine übliche Vorgehensweise. Souverän präsentiert der große Schwede sich bei jeder Geschwindigkeit. Auf der Autobahn, weil er dank des Luftfahrwerks alle Unebenheiten wegbügelt wie ein Junggeselle, der soeben zwei Stunden auf Youtube damit verbracht hat, „How to iron a shirt“-Videos aufzusaugen. Und in der Stadt, weil die E-Unterstützung in superleise, entspannt und dynamisch auftreten lässt. Wer nicht gerade auf Teufel komm raus auf einen sonoren Sechszylinder im Gehörgang besteht, wird mit dem Fahrerlebnis wunschlos glücklich.

Mit dem Verbrauch auf der Langstrecke allerdings weniger. Schließlich sind die 18,8 kWh der Batterie irgendwann (im allerbesten Fall nach 70 km) erschöpft und dann rackert sich der Vierzylinder alleine ab, noch dazu mit dem Hybrid-Rucksack umgeschnallt. Da scheinen dann bald sehr unerfreuliche Verbrauchszahlen auf den digitalen Instrumenten auf. Bei konstanter Autobahnhöchstgeschwindigkeit pendelt sich der Durchschnitt nach ein paar Stunden Fahrt zwischen elf und zwölf Litern ein – eine verdammt bittere Pille. Vor allem, wenn laut der (wie bei jedem Plug-in völlig ad absurdum geführten) WLTP-Messung 1,3 Liter im Datenblatt stehen. Wer mit seinem schwedischen Koloss viel und weit unterwegs ist, greift lieber zum Diesel, solange es ihn noch gibt. Der T8 Recharge ist trotz aller Power eher im Speckgürtel beheimatet, wenn man ihn denn effektiv nutzen will.

An Bord geht es allerdings schon richtig fein zur Sache. Leder, Holz, Glasschaltknauf … der XC90 bietet definitiv ein Erlebnis für die Sinne. Vor allem in der Top-Ausstattung Ultimate, wie unser Testwagen, spielt der Schwede alle Stückerln. Ein Panoramaglasdach lässt den Insassen ein Licht aufgehen und das sogenannte Nubuk-Textil, das haptisch stark an Alcantara erinnert, bedeckt Türsäulen und Dachhimmel – oder das, was angesichts der riesigen Scheibe noch davon übrig ist. Sicherheits- und assistenztechnisch ist beim XC90 ohnehin von der Basis an alles dabei, was Rang und Namen hat. Schließlich war das schon immer der vielleicht gewichtigste Fokus der Marke. Die auch bei hohen Geschwindigkeiten angenehme Stille füllt eine Harman Kardon-Anlage mit voller Stimmgewalt.

Lobend hervorheben muss man auch das Infotainmentsystem, das den vertikal ausgerichteten Touchscreen bespielt. So schnell und reibungslos es ist, so einfach bedient man es auch. Die Einbindung von Google Maps als Navigationsdienst ist konkurrenzlos und hat stets vollen Überblick über den gesamten Verkehr. Und alles andere haben die Volvo-Entwickler in erfreulich wenigen Menüpunkten, die auch sehr übersichtlich dargestellt werden, untergebracht. Viele Tasten gibt es zwar nicht mehr, aber mit diesem Konzept stört es nicht, dass es auch Basisfunktionen wie die Klimaanlage per Bildschirm zu verwalten gilt. Andere Premiummarken mit teils hoffnungslos überladenen Screens dürfen sich hier gerne eine Scheibe abschneiden. All das passt zum traditionell skandinavischen Chic – dezent, aber hochwertig.

Um das Ultimate-ive XC90-Feeling zu genießen, muss man 97.020 Euro auf den Tisch legen. Los geht es mit dem Teilzeitstromer um gut 10.000 Euro weniger, wenn man auf diverse Komfortspielereien verzichten will. Ein vollwertiges Premium-SUV mit allen Helferlein bekommt man allerdings auch dann bereits – wieder ein großer Unterschied zu manchem Konkurrenten. Heutzutage ist es etwas aus der Mode gekommen, sich bescheiden zu geben, obwohl man durchaus Grund zum Protzen hätte. Der Volvo XC90 bleibt den Idealen der Marke da aber treu und verzichtet auf Glanz und Gloria. Wer ihn kennenlernt, wird schon merken, dass er eine Krone verdient hat. Fest steht aber auch: Nur weil er der Stärkste ist, sollte man nicht blind zum Plug-in-Hybrid greifen, sondern sich erst Gedanken machen, ob er auch zum eigenen Anwendungsgebiet passt. Seine Sache macht er zweifellos gut, aber man fragt sich doch, ob etwas so altmodisches (im besten Sinne) wie ein König den Hybrid-Schnickschnack überhaupt nötig hat. Vor allem, weil doch der EX90 in den Startlöchern scharrt. Der setzt vollends auf Elektrizität und dann wird die Nische zwischen den Verbrenner-XC90 und dem Elektroauto für den wuchtigen Plug-in doch arg schmal.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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