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VW Arteon R: Teilzeit-Punk

Als Passat für Schöngeister ist der VW Arteon die Antwort auf eine Frage, die keiner gestellt hat. Und jetzt setzt VW noch ein Ausrufezeichen dahinter. Denn für Vielfahrer und Handlungsreisende, die zum Sinn für Eleganz auch noch ein Portion Sportsgeist mitbringen, gibt es Coupé-Limousine und Shooting Brake zu Preisen ab 75.900 Euro und 76.530 Euro künftig auch als R-Modell.

Wo für Passat und Arteon bis dato bei 200 PS Schluss war, montieren die hauseigenen Heißsporne von der R GmbH jetzt die stärkste Version ihres 2,0 Liter-Turbos und ködern die Kilometerfresser mit stolzen 320 PS und einem Charakter, den man einem VW kaum zugetraut hätte: Die meiste Zeit fast schon erschreckend zahm und züchtig, gibt er auf Knopfdruck den Teilzeitpunker und benimmt sich wie ein Sachbearbeiter auf dem Weg zu einem Konzert der Sex Pistols: Büchsenbier statt Beaujolais, Nietenarmband statt Nomos-Uhr und die Haare mit Gel zum Kamm aufgestellt. 

Allerdings ist diese wilde, ungehobelte Aura des Arteon tief verborgen. Denn wo man den Punker zumindest an seiner Kutte erkennt, trägt der Arteon selbst als R-Modell einen vergleichsweise braven Anzug. Zumindest von vorne und dann noch aus dem Rückspiegel betrachtet, ist er vom Rest der Familie kaum zu unterscheiden und lässt deshalb das nötige Überholprestige vermissen. Dabei hat er auf der Autobahn mit seinen optionalen 270 km/h mehr Dampf als zumindest die zahmen Performance-Modelle der M GmbH und die 43er oder 53er von AMG. Und auch innen ist das R-Modell – Sportsitze mit gesticktem Logo hin, R-Mode-Taste im Lenkrad her – viel zu nah am zivilen Arteon, als dass der Blutdruck steigen könnte. Und nein, auch die vier eckigen Endrohre in Chrom haben nichts von jenem Trotz, mit dem anderer Sportmodelle dem Rest der Welt ihre Kehrseite zeigen – ein ausgestreckter Mittelfinger jedenfalls kommt hier niemand in den Sinn.

Wie nah das R-Modell an der Serie ist und wie weit es sich trotzdem von ihr entfernt, beweist der Blick unter die Haube. Denn da steckt, wie schon bei T-Roc, Tiguan und natürlich dem Golf der Einheits-Vierzylinder vom Typ EA888, den die R GmbH mit neuem Turbo und anderer Software auf 320 PS getunt hat, so dass der Shooting Brake damit zum stärksten Kombi in der VW Geschichte wird. Die Limousine verpasst diesen Ehrentitel, weil gegen den W12 des Phaeton W12 auch der potenteste Vierzylinder keine Chance hat. 

Für den Alltag noch wichtiger als die 320 PS sind aber die 420 Nm, die den Arteon in bestenfalls 4,9 Sekunden auf Tempo 100 treiben und das Blut der Wolfsburger Biedermänner damit gewaltig in Wallung bringen. Denn mit welcher Drehzahl und welchem Modus man auch gerade unterwegs ist: Sobald man den Fuß aufs Bodenblech senkt, wird der Arteon zum Dampfhammer und fräst über den Asphalt, dass es eine wahre Freude ist. Die Lenkung messerscharf und präzise wie ein Skalpell, das neu programmierte Aktiv-Fahrwerk verbindlich und vertrauenserweckend, und dazu ein obligatorischer Allradantrieb, der neben jeder Menge Bodenhaftung auch noch kurvenbeschleunigendes Torque Vectoring bietet – so lässt der Arteon die Grenzen zwischen Breiten- und Leistungssport verschwimmen und wird zum Kombi für alle Lebenslagen – egal ob Norma oder Nordschleife, linke Spur oder Laderampe. 

Klar ist ein Golf R noch ein bisschen wilder und vor allem handlicher. Aber von der Aerodynamik begünstigt, macht der Arteon als Bodybuilder für die Business Klasse vor allem auf der Autobahn den souveräneren und noch schnelleren Eindruck. Und anders als beim kleinen Bruder verliert man sich hier nicht in der leidigen Touchbedienung, die mit ihren viel Slidern anstelle konventioneller Schalter viel zu viel von jener Aufmerksamkeit bindet, die man bei so einem Tempo besser dem Verkehr widmet.

Braver Auftritt, brutaler Antritt und dabei selbst im Grenzbereich so vertrauenserweckend wie ein Bausparvertrag – diese Kombination macht den Arteon R zur Ausnahme im VW-Programm und zu einer sündig-süßen Versuchung für alle Vielfahrer. Allerdings muss man dafür tief in die Tasche greifen. Denn die 40 PS mehr Leistung und das bisschen Bling Bling lässt sich VW gegenüber dem bisherigen Top-Modell mit einem Aufschlag von fast 9.000 Euro bezahlen. Aber bisweilen haben ja selbst Sachbearbeiter eine schwache Stunde – erst recht, wenn sie tief drinnen die Seele eines Punkers haben.

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