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Mercedes EQS: Zeitreise erster Klasse

Es wirkt, als wäre hier gerade ein Raumschiff gelandet. Denn mitten auf einem riesigen Parkplatz in einem Fischerhafen vor den Toren von Tokio materialisiert sich plötzlich ein Mercedes, wie er futuristischer kaum sein könnte. Endlos lang und trotzdem ungewöhnlich flach, protzig und zugleich filigran und vor allem absolut lautlos rollt hier der Mercedes Vision EQS ins Bild. Nur sechs Wochen nach der Weltpremiere in Frankfurt bitten die Schwaben ausgerechnet in Japan zur Zeitreise mit dem Luxusliner der Zukunft und schicken den Silberfisch im Smoking auf Jungfernfahrt durch die vielleicht futuristischste Millionenmetropole der Welt.

Von Thomas Geiger

Dass der EQS hier wirkt wie ein Space Shuttle, das auf der Milchstraße falsch abgebogen ist, liegt nicht nur am Kontrast zwischen dem schillernden Luxus auf der einen und der grauen Tristesse auf der anderen Seite. Sondern es liegt auch am Auto selbst. Denn keine Mercedes-Studie der letzten Jahre war so clean und schnörkellos wie der EQS, aus dem schon bald das elektrische Flaggschiff der Marke und die zukunftsfeste Alternative zur S-Klasse werden soll.

Es ist eigentlich nicht viel mehr als ein großer Bogen, der das gesamte Auto beschreibt und die Idee von der klassischen Stufenhecklimousine endgültig ins Museum verbannt. Und die einzige wirklich gerade Linie ist die, die den silbernen vom schwarzen Lack trennt und das LED-Band, das dazwischen ums ganze Fahrzeug läuft und auf eine viel subtilere Art mit der Umwelt spricht als das mit Blinker und Lichthupe möglich wäre.

Überhaupt das Licht: Je dunkler es wird, desto spektakulärer erscheint der Luxusliner. Denn vorne strahlen dann Holografie-Linsen, die sich 2000 Mal in der Minute drehen und deshalb zu schweben scheinen, im Kühlergrill glimmen bald 1000 LED hinter schwarzem Glas, von innen schimmern viele Dutzend Meter Lichtleiter in allen denkbaren Farben und am Heck gibt es statt klassischer Rückleuchten 229 einzelne Mercedes-Sterne, die jedem Zweifel an der Herkunft dieses Raumschiffs ausräumen. Das kommt nicht vom Mars, sondern vom Planeten Mercedes.

So sehr der Wagen von außen funkelt, so ruhig ist das Design des Interieurs: Nichts als Lack und Leder stören die innere Ruhe und sobald man sich in die überraschend tiefen Sitze gleiten lässt und die Tür ins Schloss surrt, sind selbst die Hektik und der Lärm des Ameisenhaufens Tokio vorbei und vergessen. Selbst Instrumente sieht man keine, weil die nur noch bei Bedarf auf die Oberflächen projiziert werden. Stattdessen gibt es ein Cockpit, das flacher ist als je zuvor und deshalb ungeahnte Ausblicke gewährt. Obwohl der EQS zwei handbreit flacher ist als eine S-Klasse, wirkt der Innenraum deshalb umso luftiger – was natürlich auch an den stolzen 5,30 Metern liegt, die der Wagen misst. Das sind noch einmal knapp 20 Zentimeter mehr als bei der S-Klasse.

Das einzig wirklich noch sichtbare Bedienelement ist ein Lenkrad, das nach oben offen ist und auch gut in einen Jet passen würde. Zwar kann der EQS in der Vision der Entwickler nahezu autonom fahren, doch denkt Mercedes offenbar nicht im Traum daran, ihm die Arbeit komplett zu überlassen. Dafür ist der Reiz des Rasens und des Reisens auch auf der Electric Avenue noch viel zu groß. Erst recht, wenn an jeder Achse ein E-Motor montiert ist und die Systemleistung bei 350 kW oder, in alter Währung, 476 PS liegt. Mit zusammen bald 1000 Nm soll der EQS so in weniger als fünf Sekunden von 0 auf 100 beschleunigen, mindestens 200km/h erreichen und mit einem Akku von mehr als 100 kWh gut und gerne 700 Kilometer weit fahren.

Das jedenfalls ist die Theorie. In der Praxis ist der handgeschnitzte Prototyp davon natürlich noch weit entfernt. Und weil er ein millionenschweres Einzelstück ist, sterben die Mechaniker ohnehin tausend Tode, wenn man mehr als den kleine Zeh auf das filigrane Pedal im Fußraum stellt. Auch deshalb fährt der EQS die ersten Meter in diesem Fischerdorf und nicht auf der Ginza oder im coolen Akihabara. Doch auch wenn jedes Staubkorn in den Radkästen prasselt und die imposanten 24 Zöller nahezu ungefedert und deshalb entsprechend holprig über den doch eigentlich ziemlich glatten Asphalt gleiten, fühlt man sich auf dem Weg in die Zukunft und es macht den Eindruck, Mercedes hätte den richtigen Kurs gefunden.

Das ist auch bitter nötig. Schließlich sind die Schwaben diesmal nicht die ersten. Zugegeben, ein Tesla Model S ist weniger filigran und hat lange nicht so viel Finesse, buhlt aber dafür schon seit über fünf Jahren um die Besserverdiener mit notorisch schlechtem Gewissen. Jetzt stößt der Porsche Taycan dazu und im nächsten Jahr kommt auch noch der Audi e-tron GT.

Bis der EQS dieser illustren Gesellschaft einen etwas formelleren Dreh gibt, vielleicht etwas Power rausnimmt und dafür mehr Prestige ins Spiel bringt, wird es dagegen noch mindestens 18, eher 24 Monate dauern. Denn noch ist die sogenannte EVA2-Plattform, die so flexibel werden soll wie Volkswagens MEB und deshalb eine ganze Flotte von Stromern mit Stern tragen wird, nicht fertig. Dafür wird sie aber tatsächlich eine dezidierte E-Plattform und der EQS kein so ein schlechter Kompromiss mehr wie der EQC, der eben doch nur ein umgebauter GLC ist.

Und wer solange nicht warten will oder Angst hat vor der Zeitreise in der ersten Klasse, den lässt Mercedes allerdings in der Vergangenheit schwelgen. Denn ein knappes Jahr vor dem EQS kommt erst mal eine neue S-Klasse.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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