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Morgan Plus Six: Die Vergangenheit schlägt zurück

Er sieht zwar aus wie immer. Doch der Plus Six ist der erste frische Morgan seit Jahrzehnten. Aber auch ein neuer BMW-Motor und die erste Automatik in der Geschichte machen aus dem Roadster kein modernes Auto. Und das ist gut so. Denn wer mindestens 95.000 Euro für einen Morgan ausgibt, der erwartet nicht nur einen offenen Sportwagen, der leidenschaftlich und lustvoll ist und einen durch den Raum bewegt, sondern der will auch durch die Zeit reisen.

Von Thomas Geiger

Das beginnt schon bei der Produktion. Denn es dröhnen dumpfe Hammerschläge aus der flachen Backsteinhalle, der Boden ist übersäht mit Hobelspänen, statt Schweißrobotern und Fließbändern gibt es Drehbänke und Nähmaschinen und wo es sonst nach Öl und Benzin riecht, steigt einem hier der Geruch von Holzleim und Leder in die Nase: Wer zum ersten Mal Morgans heilige Hallen in Malvern Link betritt, der mag nicht glauben, dass wir das Jahr 2019 schreiben und in der Pickersleigh Road Autos für das Hier und Heute gebaut werden.

Aber der Eindruck täuscht, und zwar gewaltig! Zwar sieht es bei Morgan aus wie in einem Freilichtmuseum des Automobilbaus, doch die Zeit ist nicht stehen geblieben. Im Gegenteil, hat sie in diesem Jahr sogar einen gewaltigen Sprung gemacht. Denn zum ersten Mal seit vielen Dekaden haben die Briten wieder ein komplett neues Auto entwickelt. Dieser Plus Six sieht zwar genauso aus wie jeder Morgan seit den 1930er Jahren, als in Malvern Link die ersten Autos mit vier statt drei Rädern gebaut wurden: Ein langer Bug mit Schmetterlingshaube, freistehende Scheinwerfer, Kotflügel über die gesamte Flanke, eine tief ausgeschnittene Kabine mit Steckscheiben und einem filigranen Zeltdach sowie ein kurzes Heck machen ihn zum Barock-Engel im Roadster-Himmel. Und nach wie vor wird die Karosserie aus Aluminium von Hand über einen hölzernen Rahmen gedengelt. Doch mit einem neuen Antrieb und einem neuen Getriebe, einer neuen Plattform mit geräumigerem Package und einem neuen Cockpit und halbwegs moderner Ausstattung nehmen die Briten nach 110 Jahren jetzt Kurs in Richtung Zukunft.

Hilfe kommt dabei vom neuen italienischen Miteigentümer Industrial Invest, der auch mal an Ducati beteiligt war und viel Geld in Aston Martin gesteckt hat, sowie einmal mehr von BMW. Nachdem die Bayern den Briten jetzt 20 Jahre lang einen Achtzylinder geliefert haben, schicken sie nun ihren aktuellsten Sechszylinder samt der famosen ZF-Achtgang-Automatik von München nach Malvern Link. Damit sinkt zwar der CO2-Ausstoß auf 170 Gramm pro Kilometer, was die Steuern für den Plus Six in manchen Märkten um 20, 30 Prozent senkt und für Firmenchef Steve Morris auch eine Frage der gesellschaftlichen Hygiene ist. Aber dafür zwingt er die Morgan-Gemeinde damit gleich zu zwei Neuerungen, deren Tragweite für die konservative Kundschaft ähnlich groß ist wie das dritte Rad am Wagen: Zum ersten Mal in der Morgan-Geschichte steckt unter der Haube ein Turbo und zum ersten Mal seit 110 Jahren gibt es kein manuelles Getriebe mehr.

Im Grunde ist der Plus Six damit ein Vetter des neuen BMW Z4. Doch während der sich mit der Rückkehr zum Stoffdach bemüht, die gute alte Roadster-Zeit wieder aufleben zu lassen und jede Menge elektrischer Finessen braucht, damit der Funken der Fahrfreude überspringt, ist der Plus Six ein wunderbar analoges und archaisches Auto, das niemanden kalt lässt. Entweder hasst man den fabrikneuen Oldtimer und fragt sich, weshalb man mindestens 95.000 Euro für einen zugigen Zweisitzer ausgeben soll, der einen bei jedem Öffnen ein paar Fingernägel kostet, der nicht einmal Airbags hat und sogar die Zentralverriegelung oder die automatischen Scheinwerfer als Errungenschaft feiert. Oder man liebt ihn, weil es kaum mehr ein anderes Auto gibt, das so pur und authentisch ist und in dem man sich der Straße so nahe fühlt.

Turbo hin, Automatik her – sobald der Morgan Fahrt aufnimmt, ist Schluss mit der Prinzipienreiterei und man kann einfach nur genießen: Wenn 340 PS und bis zu 500 Nm auf gerade mal 1.075 Kilo treffen, dann fühlt man sich eher wie in einem Supersportwagen als einem Retro-Roadster. Wenn für den Sprint von 0 auf 100 nur 4,2 Sekunden vergehen, kann man selbst auf den schmalen und verwundenen Sträßchen rund um Malvern Link spielend überholen und wenn schon jenseits von 70, 80 km/h der Fahrtwind mit Orkanstärke durch die kleine Kabine streicht, dann wirken die maximal 267 Sachen so beängstigend wie Schallgeschwindigkeit und man traut sich kaum mehr, das Pedal ans Bodenblech zu heften.

Dabei ist der Plus Six genau dafür gemacht. Von keinerlei Elektronik verfälscht und verwässert und mit einem Fahrwerk gesegnet, das einem zwar nicht mehr die Knochen aus dem Leib schüttelt, das aber trotzdem wie eh und je jede noch so kleine Änderung der Fahrbahnbeschaffenheit unmittelbar und unzweifelhaft an das Steißbein meldet, fährt man diesen Roadster allein um den Fahrens willen. Mit dem Allerwertesten fast auf dem Asphalt, sitzt man in einem, gemessen an Z4 & Co, extrem schlanken und schmalen Einbau aus Aluminium, genießt eine perfekte Übersicht, platziert ihn millimetergenau in den Scheitelpunkt der Kurven, lässt sich mit einem dezenten Heckschwung wieder heraustragen und jagt so schnell durch Cornwall und die Cotswolds, als hätte jemand bei Rosamunde Pilcher auf Fast Forward gedrückt.

Dabei hat Morgan dem BMW-Motor seinen eigenen Charakter gegeben und vor allem die Profile weit gespreizt. Im Komfort-Modus ein überraschend sanfter und vor allem kultivierter Gleiter, wird der Plus Six im Sport-Modus zum fiesen Fighter und legt spätestens nach dem Druck der Plus-Taste auch die letzte Zurückhaltung ab. Zwar gibt es weder adaptive Dämpfer noch eine variable Servolenkung, und mangels Fahrdynamik-Regelung braucht es auch keine unterschiedlichen Freiheitsgrade für ESP & Co. Doch wird die Gasannahme spürbar spontaner, die Automatik schaltet deutlich später hoch und früher herunter und der Klang des Roadsters zaubert einem eine Gänsehaut aufs Trommelfell – und wer jetzt noch dem manuellen Getriebe hinterher trauert, der kann ja mit den Wippen am Lenkrad trotzdem selber schalten.

Wenn es beim Cruisen durch die Cotswolds ausnahmsweise mal etwas ruhiger zugeht oder ein Traktor mit Überbreite den Vorwärtsdrang hemmt, bleibt ein wenig Zeit für einen Blick ins Cockpit: Ja, die imposanten 20 Zentimeter mehr Beinfreiheit trotz gerade mal zwei Zentimeter mehr Radstand nimmt man gerne mit, weil man jetzt kein Schlangenmensch mehr sein muss zum Ein- und Aussteigen. Und dass hinter die beiden Sitze nun zumindest eine Tasche mit dem Wochenendgepäck passt, ist auch kein Schaden. Aber das digitale Display in dem auch weiterhin hölzernen Armaturenbrett ist – nun ja – ein wenig gewöhnungsbedürftig und wirkt neben den analogen Rundinstrumenten in der Mitte wie ein Souvenir von einer Reise in eine Zukunft, in der Morgan nichts verloren hat.

Doch selbst wenn er sich nur kleine Schritte erlaubt, mag Morgan-Chef Morris nicht in der Vergangenheit verharren und will zumindest ganz langsam mit der Zeit gehen. Das gilt auch für die Modellpalette: Mit dem Geld der neuen Investoren im Rücken, der neuen Plattform als Basis und den zukunftsfesten Motoren als treibende Kraft hat Morris noch viele Ideen – zumal auch er zumindest verhalten nach Stückzahlen giert und deshalb die Produktion in den nächsten drei Jahren verdoppeln will. Was genau da noch alles in der Pipeline ist, will er zwar nicht verraten. Aber eine Sorge kann er der eher konservativen Kundschaft mit Blick auf Marken wie Aston Martin oder Ferrari nehmen: „Selbst wenn wir offenbar bald die einzigen ohne sind, wird es bei uns auch in den nächsten 110 Jahren kein SUV geben“.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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