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Tokyo Motor Show: In der Ruhe liegt die Kraft

Auf der Autobahn halten sie sich sklavisch und penibel ans Tempolimit, die Bahnhöfe platzen aus allen Nähten und trotzdem herrscht keine Hektik, und egal wo man auch hinschaut, sieht man weder große Gefühlsausbrüche noch eilige Reaktionen: Kaum ein Volk wirkt derart gelassen und in sich selbst ruhend wie die Japaner – und die Auto-Industrie macht da keine Ausnahme: Statt sich von allen möglichen Trends aufschrecken zu lassen, fahren Toyota & Co. einfach unbeirrt ihren Kurs – und sind damit nicht nur auf dem seit Jahren schrumpfenden Heimatmarkt sehr erfolgreich. Denn auch wenn sie zum Beispiel nicht so schnell und unbeirrt auf den Zug mit dem Elektroauto aufgesprungen sind, steht Toyota nach wie vor auf Platz 1 der automobilen Weltrangliste. Und zumindest Honda als letzter unabhängiger, japanischer Konkurrent von Relevanz leistet sich auch keine Schwäche, zumindest nicht in Japan und den USA.

Deshalb spricht hier auch niemand von einem Kurswechsel oder dem Aufbruch in eine neue Ära, wenn jetzt die von der Automesse zur Mobilitätsplattform geadelte Japan Mobility Show eröffnet wird. Sondern die Japaner arbeiten ganz systematisch ihre Strategien ab. Sie stellen nicht radikal, sondern rational auf die E-Mobilität um, lassen die alte Welt nicht außer Acht und beweisen etwas, das die einen als kraftvolle Ruhe bezeichnen würden und die anderen als Starrsinn, das sie aber auf jeden Fall ungeheuer erfolgreich macht.

Es gibt deshalb nach wie vor noch Verbrenner auf den Ständen zu sehen, selbst wenn die Akku-Autos mittlerweile deutlich in der Überzahl sind. Doch egal ob mit Batterie oder Benzintank sind die seriennahen Neuheiten weder weltbewegend noch sonderlich visionär – und wahrscheinlich genau deshalb erfolgsversprechend. Das gilt für den LF-ZC als bereits ziemlich konkreten Ausblick auf das für 2026 avisierte elektrische Flaggschiff der noblen Toyota-Tochter genauso wie für den Land Cruiser SE und den EPU, mit dem der Weltmarktführer den Faden für seinen SUV-Klassiker und den amerikanischen Pick-Up Tacoma in die elektrische Zukunft weiterspinnt. Und auch der Honda Sustainia ist bei allem Charme und aller Erinnerung an den Renault R5 nur ein weiterer elektrischer Kleinwagen, bei dem mal etwas konsequenter an Recycling gedacht wurde. 

„Weiter so“, das gilt auf der Messe auch für die vielen Studien. Denn wie immer in Tokio sehen die eher nach Manga aus als nach Massenproduktion – egal, ob es nun ein Offroad-Bus ist wie der Mitsubishi D:X, ein SUV-Coupé wie der Hyper Punk bei Nissan oder direkt daneben der Hyper Tourer als Raumfähre mit First-Class-Komfort. 

Dazu kommen ein paar eher praktische Toyota-Konzepte wie der Kayoibako oder der IMV 0, ein Van und ein Pick-Up, die sich je nach Aus- oder Aufbau dem Nutzerprofil anpassen, mal Arbeitsgerät sein wollen und mal Freizeitkutsche, Kurierlaster oder Foodtruck und die sich das japanische Talent vom großen Platzgewinn auf kleinem Raum zu Nutze machen.  

Zwar wirken die Japaner im allgemeinen und die Autobosse im besonderen eher unterkühlt, und wenn Toyota Chef Koji Sato seinen Auftritt hat, klingt er wie ein Universitätsprofessor bei der Vorlesung “Verwaltungsrecht im Jahrhundert-Vergleich”. Doch schlummert hinter der grauen Fassade und der steinernen Mine durchaus ein Faible für Fahrfreude, wie man sie in einem Land mit derart hoher Verkehrsmoral kaum erwarten würde. Nicht umsonst steht überall auch eine Sportwagen-Studie im Rampenlicht – sei es der Vorbote des nächsten Bonsai-Roadsters Copen bei Daihatsu, der 1.400 Elektro-PS starke Hyper Force als überzeichneter Vorbote des nächsten GT-R bei Nissan, ein elektrischer Ausblick auf einen neuen Prelude bei Honda, ein brutaler Breitensportler bei Subaru, der FT-Se bei Toyota oder der Iconic SP bei Mazda. Der könnte trotz des festen Dachs nicht nur den hier mit dezentem Facelift zu sehenden MX-5 in die Zukunft führen. Sondern der hat zudem die besten Chancen zum neuen Schönheitskönig unter den E-Autos zu werden – selbst wenn er gar kein reines E-Auto ist, sondern genau wie der MX-30 noch einen wankelnden Range Extender hat. 

Während die Japaner ihr „Weiter so“ auf großer Bühne feiern, glänzen die vermeintlich so innovativen Newcomer und die aufgeschreckten Marken aus der westlichen Welt weitgehend mit Abwesenheit – selbst wenn Japan mit 3,45 Milllionen Neuzulassungen, einem Importanteil von zehn Prozent und einem Faible für deutsche Premium-Autos nun wirklich nicht zu verachten ist. Doch der VW-Konzern hat sich den Auftritt gleich ganz verkniffen, genau wie alle Amerikaner, die Koreaner und bis auf BYD auch die Chinesen. Renault stellt drei hinlängliche bekannte Neuwagen vor eine gar nicht mal so große Pappwand und Mercedes spendiert den Messegästen ein Deja-Vu mit der elektrischen G-Klasse von der IAA in München – allerdings nicht der von September, sondern der von 2021. 

Einzig BMW ist in gewohnter Stärke zum Auslandsspiel gekommen und hat neben der Neuen Klasse mit dem wie immer etwas verwegenen X2 eine echte Weltpremiere mitgebracht. Und kein Geringer als der Vorstandschef persönlich hat sie enthüllt – selbst wenn der zuletzt etwa bei der CES in Las Vegas so unterhaltsame Oliver Zipse diesmal kaum euphorischer war als Toyota-Chef Sato. 

Hier die Heimspieler mit riesigen Bühnen und dort die Ausländer mit kaum mehr als Alibi-standen – zumindest auf der Messe in Tokyo lässt sich das Bild vom einstigen Vorreiter kaum halten, der den Anschluss verloren und sich von den Koreanern und den Chinesen hat abhängen lassen. Und auch sonst lohnt sich bei der Standortbestimmung für die  japanischen Marken einen  zweiter Blick: Ja Mitsubishi und Nissan suchen noch einen passenden Platz in der Allianz mit Renault, Subaru bleibt eine Marke für die Nische, Mazda kultiviert unter dem Deckmantel Toyotas seine Rolle als eigensinniger Exot und Suzuki und Daihatsu sind aus europäischer Perspektive ein weitgehend lokales Phänomen. Doch Honda und allen voran Toyota wirken wie m Felsen in der Brandung, die sich weder von der Sturmflut der Stromer davon spülen lassen, noch von der Welle der Digitalisierung. Und selbst wenn sie damit vielleicht weniger innovativ erscheinen als manche andre Großkonzerne, sind sie dafür ausgesprochen erfolgreich: Haben VW und Toyota noch vor ein paar Jahren um die automobile Weltherrschaft gerungen, liegen die Japaner mittlerweile zwei Millionen Autos pro Jahr in Führung. 

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