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Mercedes-Maybach GLS 600: Hochkaräter

Schluss, aus, Ende und Vorbei – Mercedes hat sich lange genug von Rolls Royce und Bentley die Butter vom Brot nehmen lassen und dem vornehmen Treiben unter den SUV tatenlos zugesehen. Doch jetzt schlägt der selbsternannte Gralshüter des automobilen Luxus zurück und schickt gegen Cullinan und Bentayga den ersten Maybach für den Matsch ins Rennen: Was da in der zweiten Hälfte des neuen Jahres für Schätzpreise jenseits von 150.000 Euro anrollt, ist zwar anders als die Studie Vision Ultimate Luxury aus dem letzten Jahr noch hoffen ließ, doch kein eigenständiges Auto und erst recht kein SUV mit Stufenheck, sondern ein GLS im Smoking. Doch haben die Schwaben ihr dickstes Ding außen so üppig mit Lametta behängt und innen so fein ausstaffiert, dass der Geländewagen buchstäblich zum Hochkaräter wird und eben doch um zwei Klassen aufsteigt.

Von Thomas Geiger

Damit man das Prunkstück für Prachtstraßen und Pampa trotz der engen Verwandtschaft mit der schnöden Großserie auf Anhieb erkennt, trägt der GLS stolz den Maybach-Grill im Nadelstreifen-Design und darunter mehr Chrom vor den Lufteinlässen als die amerikanische Rapperszene Gold um den Hals. Dazu gibt’s breit verchromte Rahmen um die Scheibe und – ein entsprechendes Selbstbewusstsein voraus gesetzt – auch die nur den Maybach-Modellen vorbehaltene Zweifarblackierung. Der Clou sind allerdings die beiden riesigen Trittbretter von mehr als zwei Metern Länge und 20 Zentimetern Breite, die sich samt LED- Beleuchtung in einem faszinierenden Spektakel unter dem Wagenboden hervorschieben, sobald sich die Türen öffnen. Denn selbst wenn der Maybach einen Knicks macht und sich die Luftfederung um drei Zentimeter absenkt, mag Mercedes dem gemeinen Krösus so eine unbequeme Kletterei offenbar nicht ohne Aufstiegshilfe zumuten.  

Dass aus dem Einstieg auch im übertragenen Sinne ein Aufstieg wird, liegt am noblen Interieur des Maybach, der seine Passagiere in einem Kokon aus Lack und Leder lockt. Statt der bis zu fünf gewöhnlichen Sessel aus dem GLS sind hier wie in der Langversion der Limousine nur zwei Loungeliegen montiert, mit über einem Meter Beinfreiheit davor und einer riesigen Konsole für Barfach, Klapptische und Kleinkram dazwischen. Der Rücken wird fein massiert und klimatisiert, um die Nase weht der Duft von Osmanthusblüten, zarten Ledernoten und würzigem Tee und die Welt da draußen verschwindet hinter Isolierglas und schwarzen Vorhängen, die auf Knopfdruck vor die Scheiben surren: Willkommen in Ihrer eigenen Welt, lautet die Botschaft. 

Technisch dagegen ist der Maybach dem GLS näher, als es den meisten Kunden lieb sein dürfte. Zwar haben die Ingenieure die Profile des vorausschauenden Luftfederfahrwerks mit seinen schlauen 48 Volt-Stellern um einen Maybach-Modus ergänzt, mit dem man wie auf Wolken gebettet über den Asphalt gleitet, und für den Motor gibt es ein neues Setup. Doch wer sich angesichts des Typenkürzels 600 auf einen Zwölfzylinder freut, wird beim Blick unter die Haube jäh enttäuscht. Statt am BMW X7 gar vollends vorbei zu ziehen und tatsächlich zu den Briten aufzuschließen, belässt es auch Mercedes beim V8. Der ist immerhin der modernste im Programm, kommt als Mild-Hybrid mit einem 22 PS starken E-Booster und hat trotz soliden 2,8 Tonnen sicher leichtes Spiel mit dem 5,21 Meter langen Luxusliner. Nicht umsonst wuchten die 558 PS und 730 Nm den Maybach für den Matsch in 4,9 Sekunden auf Tempo 100 und danach unbeirrt weiter bis auf 250 km/h. Und dass er dabei schon in der Norm 11,7 Liter verbraucht, wird die erlauchte Kundschaft kaum stören. Wer Maybach fährt, zahlt solche Tankrechnungen wie andere das Trinkgeld. 

Zwar feiert Mercedes Maybach nach dem gescheiterten Comeback-Versuch mit den Modellen 57 und 62 mittlerweile als Erfolgsgeschichte und rühmt sich immerhin 45.000 verkaufter S-Klassen mit dem doppelten M seit dem Relaunch in Jahr 2016, und im letzten Jahr war schon jede siebte S-Klasse ein Maybach. Doch geht es nach Designchef Gorden Wagener, ist der GLS nur der zweite Schritt auf einem weiten Weg: Langfristig will er Maybach zu einer starken Submarke machen, die sich auch wieder eigene Modelle leisten kann . Als Vorbild dienen ihm dabei die Kollegen von AMG, die sich mit SLS, GT und ihrem Viertürer bereits weit von der Großserie entfernt haben. Allerdings hat der Vergleich auch einen Haken – bis AMG so weit war, hat es Jahrzehnte gedauert. Deshalb werden sich wohl auch die Maybach-Kunden noch ein wenig in Geduld fassen und zurücklehnen müssen – Platz genug dafür haben sie im neuen GLS ja.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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