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Abarth 595 Esseesse vs Renault Zoe: Stadt gegen Stadt

Endlich: Ski abschnallen, Helm runter, rein ins Kitzloch. Die Oberschenkelmuskulatur hat Pause, die Leber übernimmt am Kommandostand, während man sich von Mickie Krause und Helene Fischer die Gehörgange vergewaltigen lässt …

Text: Maximilian Barcelli, Fotos: Eryk Kepski

So war das zumindest einmal. Nämlich 2019. Und 2018. Und die ganzen anderen Jahre zuvor. 2020? Fehlanzeige. Die Pandemie, sie macht vor nichts Halt, hat vor nichts Respekt. Auch nicht vor dem höchsten österreichischen Kulturgut: freilich dem Après-Ski. Ist halt so. Man muss sich an die neuen Gegebenheiten anpassen, auch bei der Wahl des automobilen Begleiters: Warum einen Allrad-Kombi kaufen, wenn man sowieso keine Alibi-Ski mehr für den Saufurlaub in die verschneiten Alpen verstauen muss? Und wenn im Sommer die Devise „Attersee statt Adria“ lautet? 2020 wurde die individuelle Mobilität auf die Kurzstrecke verlagert, zumindest teilweise. Und für die braucht man halt keinen Audi A6 Avant, nicht einmal ­einen A4. Im urbanen Bereich, da schonen Parkplatz-freundliche Abmessungen die Nerven, sollten nach diesem Irrsinn von Jahr überhaupt noch welche übrig geblieben sein. Da erfreut man sich am kleinen Wendekreis und der Handlichkeit in engen Gassen.

Renault Zoe und Abarth 595, hier als Supersport-Jubiläumsmodell „Esseesse“, bieten all das – und sind dennoch grundverschieden. Der eine Elektro, der andere Verbrenner. Der eine Drei-, der andere Fünftürer. Der eine französisch, der andere italienisch. Der eine weiß, der andere violett (gut, das ist nicht in Stein gemeißelt). Zum Vergleich eignen sie sich trotzdem. Weil beide für einen ähnlichen Aktionsradius gedacht sind. Und weil sie auch preislich in der selben Liga spielen: Der Renault Zoe startet mit starkem Motor, großer Batterie und der hohen „Intens“-Ausstattungslinie bei 37.090 Euro, der Abarth ist – als Esseesse ebenfalls schon gut ausgestattet – rund 5.000 Euro günstiger. Für den gibt’s aber auch keine staatliche E-Mobilitätsförderung, die im Zoe-Preis noch mit eingerechnet ist.

Zurück zu den Unterschieden. Ein noch nicht erwähnter, aber signifikanter, ist der akustische. Kurz bevor der Abarth 595 Esseesse ums Eck schwingt, dreht’s dem Klimaschützer von Welt den Magen um. Die vegane Tofu-Bowl, das Avocado-Brot, die 15-Euro-Smoothies – da bleibt echt nichts mehr an seinem Platz, so laut, so pubertär, so rotzig und so sehr nach Kohlenstoffdioxid klingt der Kleine. Ist er dann aber ums Eck: Entwarnung! Nur ein süßer Cinque­cento, der tut ja wirklich keinem was. Es ist schon immer wieder verblüffend, welch Klang die Italiener aus dem 1,4-Liter-Vierzylinder zaubern. Wobei es im Falle des Esse­esse eigentlich Slowenen sind: Die Auspuffanlage steuern die Profis von Akrapoviˇc bei. Das absolute Gegenteil: Der bis auf ein leises Surren lautlose Renault Zoe. So oder so: Wohltuender als Fischer oder Krause ­tönen sie beide.

Der Zoe ist vorletztes Jahr in die neue Generation gestartet. Die Veränderungen sind monumental: Aus dem Innenraum, der einst den Eindruck erweckte, sämtliches Plastik aus den Weltmeeren in ein paar Kubikmeter unterbringen zu wollen, ist ein Ort des Wohlfühlens geworden: schöne Materialien, solide Verarbeitung und digital voll auf Höhe der Zeit. Anders der Abarth 595 Esseesse, dessen Basis namens Fiat 500 seit 2007 fast unverändert geblieben ist, weil sie sich eh wie Klopapier kurz vorm Lockdown verkauft: viel Plastik, mittelmäßige Verarbeitung und
digital voll auf der Höhe des Jahres 2015.

Viel wichtiger sind aber ohnehin die Veränderungen, die sich unter der „Violet-Blueberry“-Außenhaut des Zoe verstecken: War die erste Generation mit Akkus von einer Kapazität von 22 kWh bis 41 kWh ausgestattet, so ist die leistungsschwächste Batterie nun eben jene mit 41 kWh, während der Topakku, der auch im Testwagen verbaut war, mit 52 kWh aufwartet. Bei der Leistung schärft Renault ebenfalls nach: Für Genügsame gibt es 110 PS. Weil der WIENER aber nicht genügsam ist, entsendet im konkreten Fall eine fremderregte Synchronmaschine eine 135 Mann starke Reitstaffel über das 1-Gang-Reduktionsgetriebe an die Vorderachse.

Auch wenn der Zoe mit 9,5 Sekunden von 0 auf 100 km/h trotzdem fast drei Sekunde länger benötigt, als der Cinquecento (oder eigentlich: Cinquecentonovantacinque), präsentieren sich in urbanen Geschwindigkeitsbereichen die Vorzüge der Elektromobilität am Besten: Vom Stand ziehen beide in etwa gleich schnell weg, erst ab 50, 60 km/h setzt sich der Abarth 595 Esseesse ab. Einverstanden, solch jugendliche Spompanadeln sind da draußen im „echten“, von Terror und Seuchen geplagten Leben vernachlässigbar. Worauf wir eigentlich hinauswollen: Die unschlagbar spontane ­Gasannahme und die quasi immer parat stehende Maximalleistung eines E-Autos im Generellen und des Renault Zoe im Speziellen, das sind schon richtig feine Features. 135 PS fühlen sich da ganz schnell nach deutlich mehr an. Freilich: Emotionaler und lebendiger ist die Kraftentfaltung beim Abarth 595 Esseesse. Und das nicht nur wegen des Sounds: Der kleine 1,4-Liter-Vierzylinder ist ein Turbo-Motor der alten Schule. Wenn du aufs Gas trittst, passiert erst einmal: wenig. Dann: immer noch wenig. 2.500 Umdrehungen: immer noch wenig. Und immer noch we…, whooop! Da ist er, der Lader, und hat 180 Pferde mit zur Party genommen. Die reißen jetzt wie wild an der Vorderachse, bis man die nicht zu leichtgängige Kupplung durchdrückt und den nächsten Gang reinwirft. (Ja, im Abarth 595 Esseesse verwaltet man die fünf Gänge noch selbst.). Er mag aber nicht nur Geradeaus, der 595. ­Innenbelüftete Brembo-Bremsen vorne, Sportfahrwerk und die engen Schalensitze von Sabelt machen den Kleinen zu einem großen Kurvenräuber. Dazu der Krach aus den beiden Endrohren – Herz, was willst du mehr?

Gar nichts! Im Gegensatz zum Rücken. Der wünscht sich eine ­ergonomischere Sitzposition und, zumindest im Normal-Modus, sanftere Dämpfer. Der 595 Esseesse ist brettlhart. Allzu begeistert ist der Kopf übrigens auch nicht. Zumindest nicht der Hinterkopf, der die Meldungen vom Buschfeuer in Australien, den Waldbränden in Kalifornien, rasant steigenden Durchschnittstemperaturen, kurzum: der ganzen Klima-Scheiße nicht komplett verdrängen konnte. Weil von den 7,8 Litern Super auf 100 Kilometer Werksangabe, die sich wohl ohne Testosteron-­Schub erreichen lassen, muss man sich bei artgerechter Haltung schnell verabschieden.
Zurück zum Geradeausfahren: Nach 6,7 Sekunden Vollgas zeigt der Tacho Landstraßengeschwindigkeit an, den Zenit erreicht man jedoch erst viel später; nämlich bei 225 km/h. Es stellt sich allerdings die Frage, ob man den Zenit überhaupt erreichen will. Der kurze Radstand, das brettlharte Fahrwerk, die für Seitenwind anfällige Silhouette: Ein Freund der Autobahn ist der Abarth 595 Esseesse nicht. Anders der Zoe, der auch bei höherem Tempo komfortabel und spurtreu bleibt. Nur dass höheres Tempo in dem Fall 140 km/h bedeutet, dann ist schon wieder Schluss. Was auch besser so ist, weil die realistische Reichweite von rund 300 Kilometer (WLTP: 360 Kilometer) dann nur noch Utopie wäre. Aber gut, Langstrecke wollten wir ja außer Acht lassen. Der Abarth 595 Esseesse kann sie nicht, weil er in vielerlei Hinsicht unkomfortabel ist. Der Renault kann sie nicht, weil man nach 300 Kilometern viel Zeit zum blöd Schauen hat. Sie müssen Langstrecke aber auch gar nicht können, beide sind nicht dafür konzipiert und machen ihre Sache dafür dort richtig gut, wo es drauf ankommt: in der Stadt und deren Umland.

Wer jetzt also die Nase vorne hat? Sich besser für eine Welt eignet, die sich um den eigenen Wohnsitz dreht und kaum darüber hinaus? Klar, der Renault ist praktischer, hat zwei Türen mehr, und in seinen Kofferraum passen fast doppelt so viele Klopapierrollen rein. Das ist 2020 wesentlich. Außerdem ist die Gasannahme E-Motor-­bedingt großartig und natürlich: kein CO2-Ausstoß beim Fahren! Argumente für den Abarth 595 Esseesse: fetter Sound beim Fahren, sehr viel Spaß auf der Landstraße und ein gewisses Edel-Prestige im Auftritt, das der Renault qua seines Wesens nie erreichen kann oder will. Letztendlich entscheiden individuelle Vorlieben und Mobilitätsbedürfnisse, welcher David sich besser eignet. Das Zeug dazu, Goliath zu schlagen, haben sie beide.

Renault Zoe R135 Intens
Leistung: 135 PS
Drehmoment: 245 Nm
Beschleunigung: 0–100: 9,5 s
Spitze: 140 km/h
Gewicht: 1.551 kg
Akku-Kapazität: 52 kWh
Reichweite: 360 Kilometer
Preis: ab 37.090 Euro

Abarth 595 Esseesse
Hubraum: 1.368 ccm
Leistung: 180 PS
Verbrauch: 7,8 Liter
Drehmoment: 250 Nm / 3.000 U/min
Beschleunigung: 0–100: 6,7 s
Spitze: 225 km/h
Gewicht: 1.045 kg
Preis: ab 32.190 Euro

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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