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Lingotto blüht auf

Es war eine Kathedrale der Industrialisierung und nicht zuletzt der Quell für einen gigantischen CO2-Ausstoß. Denn das Fiat Stammwerk im Turiner Stadtteil Lingotto steht wie keine andere Fabrik in Italien für die Massenproduktion und damit eben nicht nur für die Mobilisierung eines ganzen Landes, sondern auch für den Verkehrs- und Klimainfarkt, der vom Auto ausgeht. Zwar kommt der hier einst heimische Fiat 500 als Verbrenner längst aus Polen und als E-Modell aus dem benachbarten Mirafiori und das letzte Auto aus Lingotto war 1982 ein Lancia Delta. Doch auch wenn die alten Hallen seit Jahrzehnten nur noch ein Hotel, ein Konferenzzentrum und eine Shopping-Mall beherbergen, liegen sie den Großenkeln des Gründers Giovanni Agnelli, John Elkann, seinem Bruder Lapo und Schwester Ginevra genau wie Fiat-Chef Olivier Francios noch immer am Herzen. Deshalb haben die Agnellis dort ihre Kunstsammlung als öffentliches Museum eingerichtet, deshalb hat Star-Architekt Renzo Piano den Umbau organisiert und das fünfstöckige Gebäude mit zwei eigenwilligen Dachbauten gekrönt, die wie ein Ufo aussehen und wie der Kommando-Turm eines Container-Schiffs. Und deshalb hat Fiat jetzt noch einmal mehrere Millionen in die Hand genommen, um die einzigartige und deshalb weltweit berühmte Teststrecke auf dem Dach des Gebäudes wieder zum Leben zu erwecken.

Dort, wo Legenden wie der Fiat 500 das Laufen lernten, werden künftig allerdings keine Erlkönige mehr flanieren und keine Prototypen promenieren – sondern 40.000 Pflanzen machen aus der 1.200 Meter langen Kreisbahn mit den spektakulären Steilkurven den größten Dachgarten auf dem Kontinent, schwärmt Fiat-Chef Francios. Und auch wenn die Pflanzen vor allem nach ihrer Widerstandskraft ausgesucht wurden und nach ihrer Fähigkeit zur CO2-Reduktion, stammen sie doch alle aus der Region, betonen die Macher, die unter das ganze Ziergewächs auch reichlich Nutzpflanzen gemischt haben – vom Rosmarin bis hin zu den Haselnusssträuchern, aus deren Ernte ein paar Kilometer weiter bei Ferrero & Co zum Beispiel Nutella gerührt wird. 

Beim Garten alleine soll es aber nicht bleiben. Sondern Fiat ehrt nicht nur seinen Stammsitz, sondern auch sein wichtigstes Modell – und widmet dem Cinquecento mit der „Caao500“ sein eigenes Museum. „Denn kein Auto steht so sehr für Italien und sein Dolce Vita wie der 500er. Und kein Kleinwagen hat weltweit so einen großen Erfolg“, rechtfertigt Francois die Sammlung, die sich allen drei Generationen des großen Kleinen gleichermaßen widmet. Dem Original aus den 1950ern, mit dem die Italiener mobil geworden sind, der Neuauflage vom Beginn dieses Jahrtausends, die Fiat das Überleben gesichert hat, und der elektrischen Neuauflage, mit der die Italiener in die Zukunft fahren wollen. 

Und wo Francois gerade Gutes am Tun ist, hat er den Mutterkonzern Stellantis auch gleich noch als ersten Autohersteller neben Marken wie Apple, Amazon, Luis Vuitton oder Montblanc an die Hilfsallianz RED angedockt, die unter anderem von U2-Sänger Bono initiiert wurde. Der sei zwar selbst ein grausamer Autofahrer, zu dem sich nicht mal seine eigene Frau in den Wagen setzen würde. Doch freue er sich unbändig darüber, dass es jetzt nicht nur ein rotes iPhone für den guten Zweck gebe, rote Lederwaren oder Sneaker. Sondern dass sich jetzt auch Fiat mit einem feuerroten 500er im Kampf gegen Pandemien wie Aids oder Covid engagiert – und auf der anderen Seite des Atlantiks ziehen Jeep und Ra gleich noch mit. So sollen binnen drei Jahren mindestens vier Millionen Euro für die gute Sache zusammen kommen, sagt Francois und startet zur Jungfernfahrt auf der begrünten Wolkenpiste mit Bono und den Elkanns stillecht im Fiat (500) Red. 

Hier das Museum, dort die Teststrecke – so lernt das Herz der Marke einen neuen Takt. Und das Pendel der Industrialisierung schlägt in die andere Richtung aus: „Ein Ort, der früher für harte Arbeit stand, dient jetzt der Erholung“, schwärmt Markenchef Francois. „Wo früher die Basis für eine gewaltigen CO2-Ausstoß gelegt wurde, entsteht die grüne Lunge der Stadt. Und aus einem streng abgesperrten Refugium für Firmenangehörige wird jetzt ein Begegnungsraum für die ganze Stadt und ihre Gäste.“

Zwar soll der größte Dachgarten auf dem Kontinent vor allem ein Paradies für Fußgänger werden. Doch will Francois das Auto aus Lingotto nicht verbannen. „Im Gegenteil“, sagt der Fiat-Chef: Nachdem hier bald 40 Jahre fast niemand mehr fahren durfte, werden wir Besucher künftig regelmäßig zu Testfahrten auf ‚La Pista’ einladen.“ Allerdings hat die Sache einen Haken – das Limit von früher 90 km/h wird deutlich gesenkt – und gefahren wird nur noch elektrisch.

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