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Mercedes S 680 Guard: Panzer im Pelzmantel

„Hey Mercedes, fahr mich in die Willy-Brandt-Straße 1 nach Berlin.“ Das ist ein Kommando, das auch eine S-Klasse nur selten zu hören bekommt. Schließlich ist das die Adresse des Kanzleramts in Berlin und die ist für die allermeisten Autos ohnehin nicht zu erreichen. Doch in dieser Limousine drängt sich diese Zieleingabe förmlich auf. Denn auch wenn sie von außen fast so aussieht wie eine ganz normale S-Klasse, ist das der neue S 680 Guard und noch bevor in der Willy-Brandt-Straße 1 nach 16 Jahren ein neuer Mieter einzieht, gibt es einen Wechsel in der Garage und Mercedes schickt eine neue Sonderschutzlimousine in die Hauptstadt. 

Dafür haben die Schwaben ihr Flaggschiff in einen Smoking aus Stahl und Kohlefasern gesteckt, der die S-Klasse gar vollends zum sichersten Auto der Welt macht, sagt Andreas Zygan: „Als erster und einziger Hersteller erfüllen wir mit der Schutzkategorie VPAM VR10 die höchsten Normen, die für zivile Fahrzeuge zertifiziert werden“, sagt der Entwicklungschef für die großen Mercedes-Modelle: „Was darüber hinausgeht, ist Militärtechnik, selbst wenn sie wie beim Dienstwagen des US-Präsidenten in ziviler Tarnung daher kommt.“ 

Damit tragen die Schwaben dem traurigen Umstand Rechnung, dass es weltweit tausende Autofahrer gibt, die Sicherheit nicht allein über Airbags und Assistenzsysteme definieren. Weil sie stets im Rampenlicht und nicht selten auch im Kreuzfeuer der Kritik stehen, fürchten sie sich weniger vor Auffahrunfällen und dem Grenzbereich der Fahrdynamik als vor Übergriffen und Anschlägen mit kriminellem oder terroristischem Hintergrund. Für diese kleine aber ausgesprochen zahlungskräftige Kundenschar bauen die Automobilhersteller wahre Trutzburgen auf Rädern, die auch ballistischer Gewalt standhalten und auf diese Weise Leib und Leben der Passagiere schützen – die so genannten Sonderschutzfahrzeuge. Von außen möglichst unauffällig, von innen so luxuriös wie die ganz normalen Serienmodelle, sind sie wahre Panzerwagen im Pelzmantel und damit erste Wahl für Regierungschef, Konzernbosse und alle, die Probleme mit der sozialen Akzeptanz ihrer politischen oder finanziellen Vormachtstellung fürchten. 

Mercedes hält an diesem Markt, den Experten je nach politischer Großwetterlage auf bis zu 30.000 Fahrzeuge in den unterschiedlichsten Schutzklassen pro Jahr schätzen, traditionell einen großen Anteil. Schließlich rühmen sich die Schwaben, dieses Segment vor über 90 Jahren erfunden zu haben und mittlerweile die Fuhrparks von 90 Regierungen und Königshäusern zu beliefern. Zwar fehlt für die „Masse“ aktuell die gepanzerte G-Klasse, doch „Klasse“ und mit ihr der allabendliche Auftritt in den TV-Nachrichten ist mit der neuen S-Klasse garantiert. Und bei einer Prognose von soliden dreistelligen Jahresstückzahlen dürfte auch das Thema „Kasse“ befriedigend adressiert sein. 

Für gut und gerne 300.000 Euro Aufpreis wird dann in 50 statt normalerweise 1,5 Arbeitstagen aus der Langversion der Limousine ein fahrbarer Panzerschrank, dem auch militärische Gewehre, Handgranaten und Sprengladungen nichts mehr anhaben können. Dafür gibt’s eine eigene Schutzzelle aus speziellen Stählen und Kohlefasern, die dann mit der angepassten Serienkarosserie verkleidet wird. Rund 500 Bauteile aus mitunter zentimeterdickem und mehrfach gehärtetem Spezialstahl, hochfeste Matten aus nahezu unzerstörbaren Aramid-Fäden und armdicke Scheiben aus Panzerglas sorgen dafür, dass Kanzler, Könige und Industriekapitäne unbeschadet einem Kugelhagel entkommen können. Und weil immer öfter Sprengfallen benutzt werden, ist auch der Unterboden durchgehend gepanzert.

Dazu gibt es neben nahezu aller Luxus-Extras von den Loungesesseln über die Ambientebeleuchtung bis zum Rearseat-Infotainment allerlei Spezialtechnik und Zusatzausstattung, die man in der Regel nur aus den James-Bond-Filmen kennt. Über Blaulichter, Sirene, Wechselsprechanlage und die Fahnenhalter an den vorderen Kotflügeln wird man sich natürlich kaum wundern. Doch nach einer detaillierten Einweisung kann der Fahrer auch ein paar Systeme nutzen, wie man sie selbst im Polizeiauto nicht finden wird. Mit ihnen lässt sich ein automatisches Löschsystem aktivieren, das auf Knopfdruck Brände am Fahrzeugboden und im Motorraum bekämpft, oder auch bei einem Angriff mit Gift- oder Tränengas die Frischluftversorgung sicherstellen. Außerdem bekommt der S Guard natürlich schussfeste Reifen, die auch ohne Luft noch weiterfahren können. Und wer will, dem baut Mercedes auch einen Spezialtank ein, dessen Hülle sich nach einem Einschuss wieder selbst verschließt.

Dass die S-Klasse tatsächlich Schutz gegen allerlei ballistische Gewalt bietet, hat Mercedes nicht nur berechnet und im eigenen Schießstand tief unter dem Werk Sindelfingen selbst ausprobiert. Sondern darauf haben die Schwaben auch Brief und Siegel des staatlichen Beschussamtes in Ulm, das die Limousine mit bis zu 500 Schüssen aus großkalibrigen Revolvern und militärischen Schnellfeuergewehren und sogar mit Sprenggranaten traktiert hat. Dabei wurde nicht wahllos auf den Wagen gefeuert, sondern vor allem auf neuralgische Punkte wie die Türöffnungen oder die Fenster geschossen. Danach sah die Limousine zwar aus wie ein Schweizer Käse, die Insassen allerdings hätten – wie ein Hightech-Dummy mit Haut, Knochen, Muskeln und Sehnen eindrucksvoll beweist – unbeschadet überstanden.

Während sich die Fahrgäste hinten rechts fühlen wie in jeder anderen S-Klasse, hat der Fahrer buchstäblich einen schweren Job. Nicht nur, weil allein die Tür 180 Kilo wiegt und deshalb trotz elektrischer Unterstützung ein bisschen Kraft beim Ein- und Aussteigen braucht. Und auch nicht, weil ihm kein Assistenzsystem der Welt die Anspannung und die Verantwortung für die illustren Passagiere abnehmen kann und Mercedes deshalb Helferlein wie die automatische Spurführung gleich gar nicht einbaut. „Schließlich wollen wir hier niemandem ins Lenkrad greifen“, erläutert Zygan. 

Sondern weil allein die Panzerung mehr als zwei Tonnen wiegt, braucht es auch etwas mehr Weitblick und Sanftmut um Verkehr. Denn natürlich schaukelt sich das Dickschiff beim Slalom stärker auf und drängt in schnellen Kurven weiter nach außen. Und bis der Panzer erst mal steht, vergehen es auch ein paar Meter mehr als bei der S-Klasse. All das merkt man allerdings erst, wenn es brenzlig wird in diesem Benz. Im normalen Parade-Betrieb dagegen rollt der Guard so gediegen und kultiviert dahin wie jede andere S-Klasse und bettet die Insassen wie auf Wolken – nur dass die eben ein Fundament aus Panzerstahl haben. Und falls doch mal etwas passiert, schützt der Stahlmantel eben nicht nur vor Projektilen: „Bei einem Crasthest würde wohl eher die Barriere zerschellen, als dass der S-Klasse ewtas passiert“, beschreibt Zygan ein Szenario, in dem Partnerschutz eher nebensächlich ist. Gut, dass Limousinen dieser Art meist auf abgesperrten Straßen oder mit Eskorte unterwegs sind und es eher selten zu unfreiwilligem Fremdkontakt kommt. 

Als treibende Kraft kommt beim Guard ein Motor zum Einsatz, der sonst allein dem Maybach vorbehalten ist. „Denn bei dem Gewicht kam für uns nur das stärkste Aggregat in Frage“, sagt Zygan und schaut zufrieden auf den sechs Liter großen V12-Motor, der mit 612 PS und vor allem den 830 Nm allemal genügend Kraftreserven für den geordneten Rückzug oder die Flucht nach vorne bietet. Erst recht, seitdem Mercedes den Zwölfzylinder auch mit Allradantrieb ausrüstet. Trotzdem ist bei 190 statt 250 km/h Schluss, weil die Reifen mehr nicht mitmachen würden. Doch lange Verfolgungsjagden sind ohnehin eher selten, weiß Zygan: „Wichtig ist, dass man in einer Bedrohungslage die ersten 30 Sekunden übersteht und so lange mobil bleibt.“ Den Rest erledigt dann die Kavallerie.

Zwar geht das Gros der Jahresproduktion „im dreistelligen Bereich“ an Kanzler, Könige, Kaiser oder Konzernbosse. Doch macht Mercedes bei der Sicherheit keine Standesunterschiede und verkauft den Guard bei gutem Leumund an Jedermann. Allerdings muss man dafür tief in die Tasche greifen. Denn mit einem Preis von etwa 550.000 Euro ist der S680 Guard etwa doppelt so teuer wie der Maybach mit V12 oder fünf mal so teuer wie eine gewöhnliche S-Klasse. Aber auch wenn den Guard jeder kaufen darf, kann ihn bei weitem nicht jeder fahren: Angesichts des hohen Gewichts braucht es dafür nämlich einen alten Pkw- oder gar einen Lkw-Führerschein.

Jakob Stantejsky

Freut sich immer, wenn ein Auto ein bisserl anders ist. Lieber zu viel Pfeffer als geschmacklos.

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