DriveHotTest

Ruhepuls 180: Die Giulia Quadrifoglio und der nasse Red Bull Ring

Kleeblatt

Ruhepuls 180: Die Giulia Quadrifoglio und der nasse Red Bull Ring

Und dann, erste Runde mit der Giulia Quadrifoglio, kurz nach der Boxenausfahrt, rutscht dir mit dem Heck auch gleich das Herz in die Hose. Dann dritter Gang, schön ausdrehen, wieder rutschen und wieder ist das Herz weg. Der Alfa macht schnell klar: Unausgeschlafen sollte man sich nicht mit ihm anlegen.

Text: Maximilian Barcelli / Fotos: © Georg Krewenka

Doch wir wollen von vorne beginnen: Wie viele andere Hersteller auch – Jaguar zum Beispiel – veranstaltet Alfa Romeo jährlich einen sogenannten Track Day, bei dem Kunden und Fans auf der Rennstrecke so richtig die Sau rauslassen können. Gerätschaften, um dies zu tun, finden sich im Portfolio der italienischen Traditionsmarke ja genug. Sportliche Speerspitze ist als einziger, reinrassiger Sportwagen natürlich der 4C, der heuer am Red Bull Ring allerdings nicht am Speiseplan stand.
Macht aber nix – Alfa hat ja noch zwei weitere ernstzunehmende Sportler im Repertoire. Beide haben ihre Feuertaufe auf der Nürburgringer Nordschleife schon hinter sich – und beide haben in ihrer jeweiligen Klasse den Rundenrekord aufgestellt. Die Rede ist vom Sport-SUV Stelvio Quadrifoglio und von der Sport-Limousine Giulia Quadrifoglio. Neben der grundsätzlich brachialen Optik verrät das vierblättrige Kleeblatt (auf Italienisch: Quadrifoglio), zu finden über den vorderen Kotflügeln, dass es sich nicht um Normalo-Alfas handelt. Übrigens: Weil in den frühen 20ern mal ein Rennwagen den Glücksbringer nicht lackiert hatte und es eben bei dieser Fahrt zu einem tödlichen Unfall kam, trägt seitdem jeder sportliche Alfa Romeo stolz das Kleeblatt.
Neben diesen Badges haben die Top-Versionen von Giulia und Stelvio auch den Motor gemein. Ein V6-Biturbo mit 510 PS sorgt für mächtig Vortrieb. In zweiteren nahmen wir aber nur am Beifahrersitz Platz, um uns von Profi Patrick Friesacher unser eigenes Unvermögen am Volant aufzeigen zu lassen – sehr beeindruckend jedenfalls. Und wenig materialschonend, wie die rauchenden Bremsen am Ende der Fahrt signalisierten.
Typisch Red Bull Ring, eben. Viele Geraden, eine länger als die andere, und ebenso viele heftige Bremszonen, die vom Auto wirklich alles abverlangen. Von dem her hat sich die Finanzabteilung von Alfa über den Regen wahrscheinlich nicht ganz so geärgert. Auf nasser Strecke werden Bremsen und Reifen halt nie so gefordert wie auf trockener Fahrbahn. Und oft sind dann auch die Instruktoren ein bisserl nervöser, gehen in den Kurven nicht ganz so ans Limit, was dem Material auch gut tut. Oft, aber nicht immer.
Begonnen hat jedenfalls alles recht gemütlich. 280 PS, die an alle vier Räder des Stelvio abgeliefert werden, das geht grundsätzlich schon gut, sorgt aber nicht für schwitzige Hände, die das traumhaft schöne Lenkrad versauen. In der Kurve ist man dank des Allradantriebs stets stabil, die Gänge über die riesigen Paddles zu sortieren, lässt das Glückshormon Dopamin nur so ausschütten. Das Adrenalin hält sich aber in Grenzen.
Damit ist beim Umstieg in die Giulia Quadrifoglio endgültig Schluss. 510 PS – und jedes einzelne Pferd drescht auf die Hinterachse ein, wie Muhammad Ali auf George Foreman. Kombiniert mit einem nassen Ring, da muss man schon voll bei der Sache sein. Also raus auf die Boxengasse, ruhig den Rechtsknick in dieser nehmen, dann: Vollstoff. Die Hinteräder sind bei den Bedingungen (und mit dem ungehobelten Gasfuß) so überfordert wie ich bei der Mathematikmatura. Vorsicht ist am rechten Pedal angeraten, dann sinkt nämlich nicht nur die Wahrscheinlichkeit, eine Pirouette ins Kiesbett zu legen, man ist auch schneller, weil die Elektronik die Leistung nicht so rabiat kastrieren muss.
Also erste Gerade, rauf zu Turn 2, die Beschleunigung quetscht dich in die großartigen Sitze, 200 Stundenkilometer am Tacho, dann: Zubeißen. Und wie die Bremsen zubeißen, auch bei nasser Strecke. Während man auf der Bremse steht, muss noch ein bisserl nach links gelenkt werden, aber ja nicht zu ruckartig. Das ABS regelt allerfeinst, eigentlich nicht merkbar. Das smoothe Lenken hätte auch beim Kurveneingang beherzigt werden sollen. So aber: Quer. Gegenlenken, dann wieder zum Scheitelpunkt ziehen. Es folgt zwar nicht Vollstoff, aber der Gasstoß war doch ein bisserl zu motiviert und das Lenkrad stand auch noch nicht ganz gerade. Ergebnis: Quer. Und außerdem noch: Herz in der Hose. Weiter zur kniffligsten Kurve des Rings. Bei Kurve Drei geht den Instruktoren dann nämlich auch ein bisserl der Schirch an, die Bremszone liegt in einer Bergabpassage. Dort erholt sich das Material dann wieder ein wenig, es wird früh vorm eigentlichen Bremspunkt verzögert.
In Turn 3, 4, 5 und 6 sorgt aber weniger das Anbremsen für einen Adrenalinkick, sondern die Kurven selbst. Sie sind langgezogen und das Heck will ständig raus. Die Elektronik lässt es auch ein bisserl von der Leine, aber fängt es schön wieder ein, bevor es zu arg wird. Nach einer Runde hast du dann blindes Vertrauen ins Auto und vor allem ins ESP. Du gehst zwar quer, besonders in eben genannten Kurven, kannst aber trotzdem deiner Linie weiterfolgen, ohne wie ein Irrer gegenzulenken. Wenn du dich an der ständigen Rutscherei gewöhnt hast, weißt, dass dein Unvermögen vom ESP ausgeglichen wird, weicht der Schreck dem Spaß.
Klar, weil Rennstreckenballern selbst mit einem Prius Freude bereitet. Aber mit der Giulia Quadrifoglio halt ganz besonders. Die Lenkung ist fabelhaft – nicht nur, was die Direktheit und das Feedback angeht, auch das Volant selbst liegt wunderbar in der Hand. Dann der brutale Sound, der dir bei jedem Gangwechsel einen Ohrgasmus der feinsten Sorte beschert. Die atemberaubende Beschleunigung, die Verzögerung, das Verhalten in den Kurven – auch wenn die eigenen fahrerischen Talente begrenzt sind, begreift man, wie die Fabelrunde von 7:32 Minuten auf der Nordschleife möglich war.
Was haben wir also gelernt? Schnell fahren auf nasser Fahrbahn muss gelernt sein – vor allem mit 510 Pferdchen und Heckantrieb. Dann: Vertraue der Elektronik, sie reißt dich raus. Zumindest bei Alfas, auch wirklich grobe Fahrfehler werden verziehen. Und die dritte Lektion: Die Alfa Romeo Giulia Quadrifoglio ist wohl momentan das heißeste Eisen, was man in dieser Klasse so findet. Der kommende M3 muss schon die ganz schweren Geschütze auffahren, um da mithalten zu können. Wir sind jedenfalls zwar verschwitzt und mit einem Ruhepuls von 180 (und einem sehr, sehr breiten Grinser) zurückgekommen, aber wir sind zurückgekommen. Dem Kleeblatt sei Dank.

Maximilian Barcelli

Bei 7.000 Touren beginnt der Spaß für den mehr begeisterten denn begnadeten Autofahrer.

Weitere Beiträge

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"