Drive

Motorblock fährt Hebmüller Käfer

Keine Servolenkung, kein Bremskraftverstärker, dafür ein vollständig versenkbares Dach und saftige 25 PS, und selbst die sind aufgerundet: Willkommen in den 50er Jahren, willkommen im VW Hebmüller Käfer.

Ein schwarz-roter Hebmüller Käfer steht auf einer Straße vor einer Wiese

Fotos: VW / Kai Uwe-Knoth

Unscheinbar und auch ein bisschen trostlos ist es hier im Westen von Wolfsburg, wie in den meisten Industriezentren dieser Welt eben. Doch die Unscheinbarkeit ist eine trügerische. Weil: Betrittst du die richtige Lagerhalle, entpuppt sich diese als Schatzkammer. Gehütet wird sie von einem kleinen Team rund um Sasha Neumann. Der leitet als Sprecher den Classic-Bereich von Volkswagen. Insgesamt, erzählt Neumann, wachen sie über 300 Schätze auf Rädern. Von 120 davon sind wir nun umgeben.

Eine Halle voller alter Volkswagen-Autos
Die Schatzkammer.

Darunter sind Oldtimer genauso wie Fahrzeuge, die erst noch zu Klassikern werden müssen. Prototypen und Modelle, von denen millionen Stücke gefertigt wurden. Schnelle und langsame Schätze, starke und schwache. Und mittendrin: Ein VW Käfer, der von der Karosserieschmiede Hebmüller zum Cabrio umgebaut wurde. 2.000 Stück davon hätten damals, wenige Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, entstehen sollen. Doch das Werk brannte im Juli 1949 ab, wurde zwar wieder aufgebaut, der finanzielle Schaden war aber nicht mehr zu reparieren. 1952 wurde der Betrieb letztlich eingestellt. Statt den 2.000 Hebmüller Käfer Cabrios sind es keine 700 geworden. Heutiger Bestand: weniger als 150.

Chrome Felge eines VW Hebmüller Käfer Cabrios
Spieglein, Spieglein an der Wand … Ein Mille Miglia Käfer über die Chromfelgen eines Hebmüller Käfers fotografiert.

Vor einem dieser verbliebenen Hebmüller Käfer stehen wir nun. In rot-schwarzer Zweifarblackierung außen und einem herrlichen schwarz-weiß-beigen Farbspiel innen. Langgezogenes Heck, edle Chromapplikationen, keine Frage: Einer der schönsten Volkswagen aller Zeiten. Erstzulassung? April 1950. Das mit Abstand älteste Auto, das ich je bewegt habe. Denn nur zum schauen ist keiner hier. Frage in die Runde: „Braucht jemand eine Einschulung?“ „Ja, hier, gerne.“

Braunes Lenkrad und schwarzes Tachometer im Hebmüller Käfer Cabrio
Schlüssel nach rechts und dann den Startknopf am unteren Teil des Armaturenbretts drücken – so starten wir den Hebmüller Käfer.

Also: „Schlüssel nach rechts drehen, Startknopf drücken“, schon sollte der Motor anspringen. Tut er aber nicht. Die schnelle Diagnose: Das Kraftstoffventil ist geschlossen. Die Behandlung: öffnen. Das geschieht an einem Schalter im Fußraum, rechts neben dem Gaspedal. Wobei: Ein Pedal im klassischen Sinne ist das eigentlich nicht, passender wäre wohl: Gasrad.

Der Innenraum eines Hebmüller Käfers
Im Fußraum zwischen Fahrer und Beifahrer: Der Schalter, der das Benzin fließen lässt.

Das Benzin fließt und der luftgekühlte, 1.131 Kubikzentimeter große Boxermotor hinter mir röhrt endlich auf. Lärm- und Abgasvorschriften der EU gab’s damals nicht, gab ja noch nicht mal die EU. Ein Vorläufer dieser, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, wurde einige Tage vor der Erstzulassung unseres Hebmüller Käfer Cabriolets gegründet.

Kein Wunder also, dass im Klang des Boxers eine für die heutige Zeit äußerst sportive Note mitschwingt. Ja, fast schon entfesselt klingt das Triebwerk im Heck. Viel zum entfesseln gibt es aber nicht: Die 24,5 PS liegen bei 3.300 Umdrehungen an, aber wann man die genau erreicht, weiß man nicht. Drehzahlmesser hat der Hebmüller Käfer nämlich keinen. Dafür eine fette Uhr. Und gleich daneben der Tachometer, dessen Nadel so zittert wie meine Hände beim Familienbrunch nach einer, sagen wir, schwierigen Nacht.

Analoge Uhr im Innenraum eines Hebmüller Käfer Cabrios
Tachometer, Uhr und darüber noch der Schalter für die leider nicht funktionierenden Winker: Cleanes Design, würde man heutzutage sagen.

Das Ende der Einschulung ist dann schnell erreicht, weil es ja nicht so viel gibt zum Einschulen. Weder einen Sportmodus (ESP ist sowieso immer off, ABS auch) noch einen flachwitzeerzählenden Computer. Und ansonsten ist es eigentlich so, wie es heute noch ist, oder zumindest fast: Kupplung, Bremse, Gas, Lenkung, Schaltung und Handbremse. Nur dass die Bremse über keinen Kraftverstärker verfügt, das Gaspedal wie schon erwähnt ein Rad ist, das erste Auto mit Servolenkung erst ein Jahr nach Erstzulassung unseres Hebmüller Cabriolets erschien und das Viergang-Getriebe nicht synchronisiert ist.

Ein Hebmüller Käfer Cabrio steht mit geschlossenem Verdeck vor einer Wiese

Das erfordert Zwischengas-Geben, was Zeit kostet, die man aber hat, weil es mit den 24,5 PS jetzt nicht wahnsinnig rasant vorwärts geht. Man will aber auch gar nicht rasant vorwärts, was nur zum kleinen Teil an den ultra-schmalen Reifen liegt, die man heute eher an ein Mountainbike montieren würde und die bei Geschwindigkeiten von 70, 80 km/h nicht mehr ganz so viel Vertrauen erwecken. Übrigens: Gurt gibt’s keinen, Kopfstützen auch nicht.

Ein Hebmüller Käfer fährt auf einer Landstraße
Mein Gesichtsausdruck, wenn ich wieder einen Gang hab‘ reinzwingen müssen.

Das Viergang-Getriebe selbst lässt sich auch mit gewissenhaftem Zwischengas nicht zum Flutschen bringen. Die Zahnräder kreischen um Gnade, man würde sie ihnen wahnsinnig gerne gewähren, aber geht halt nicht. Außerdem beginnen die Bremsen gefühlt erst nach der Hälfte des Pedalwegs zum Zupacken, und dann auch nur mit der Kraft eines Säuglings. Vorausschauend fahren ist ein Muss. Aber all das stört nicht. Ganz im Gegenteil.

Ein Rallye-Käfer, Kharmann Ghia Cabrio und Hebmüller Käfer fahren im Konvio über eine Landstraße
Hebmüller Käfer, Kharmann Ghia Typ 14 und Salzburg Käfer Replika: Im Konvio ging’s vom Industriezentrum in die Natur.

Das Fahren des Hebmüller Käfers ist – in Ermangelung eines besseren Ausdrucks – ein absoluter Hochgenuss. Entschleunigend und doch so aufregend. Packend, berührend, mitreißend und doch erholsam. Es fehlt an so vielem und doch an nichts. Und genau deshalb möchte man nicht rasant vorwärts kommen. Weil man schneller am Ziel ist – und weniger Zeit zum Fahren bleibt. Wobei: Gibt es in so einem Auto überhaupt ein Ziel?

Ein rot-schwarzer Hebmüller Käfer steht vor einem Kharman Ghia Typ 14 Cabrio
Am Ziel.

Gab’s in unserem Fall schon, nämlich ein Wirtshaus im Elm. Wo es dann Currywurst gab, die übrigens kein Jahr vor der Erstzulassung unseres Hebmüller Käfer Cabriolets erfunden wurde. Doch selbst wenn es Fushion-Kitchen gegeben hätte, etwa einen Sushi-Burger, Beilage Avocado-Pommes, Bestellung freilich via Tablet: Zurück in die Gegenwart hätte uns das nicht bugsiert. Zu klassisch, die Instrumente, zu dünn, das Lenkrad, zu pur, das Fahrerlebnis. Oder wie man 2022 sagen würde: Dieses Auto ist ein einziger Vibe.

Ein Hebmüller Käfer fährt durch ein Dorf
Auch am Ziel.

Maximilian Barcelli

Bei 7.000 Touren beginnt der Spaß für den mehr begeisterten denn begnadeten Autofahrer.

Weitere Beiträge

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"