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Alfa Romeo Tonale: Italo-Western

Sergio Leone hat es vorgemacht, und Carlos Tavares macht es ihm nach. Denn so, wie der König des Italo-Westerns zwischen den Welten gewandert ist, mischt jetzt auch der Chef des kunterbunten Stellantis-Konzerns die amerikanische und die italienische Identität und bringt auf Basis des Jeep Compass den Alfa Romeo Tonale auf den Weg. Zu Preisen ab 35.500 Euro (D) soll er von diesem Sommer an all jene Kunden erreichen, denen ein VW Tiguan oder ein Honda CR-V zu langweilig, ein BMW X2 oder ein Audi Q2 aber zu teuer ist. 

Als kompaktes SUV von 4,53 Metern Länge, 1,84 Metern Breite und 1,60 Metern Höhe positioniert, punktet der Tonale dabei wie jeder Alfa vor allem mit seinem Design: Stark orientiert an der 2019 in Genf enthüllten Studie gibt’s deshalb ein ausdrucksstarkes Gesicht mit messerscharfen Matrix-Scheinwerfern und dem traditionellen Scudetto dazwischen, eine verführerische Taille mit schnell ansteigender Gürtellinie und ein knackiges Heck ohne viele Sicken, das von einem breiten Lichtband dominiert wird. So wird aus dem amerikanischen Raubein ein italienischer Romeo, dessen Charme man sich genau wie bei einem heißen Urlaubsflirt an der Adria kaum entziehen kann. 

Ein grüner Alfa Romeo Tonale fährt auf eine Kurve zu

Innen trägt der Alfa eine verführerische Mischung aus Lack und Leder, die mit allerlei digitalem Ornat verziert ist: Animierte Instrumente in zwei klassischen Tuben schlagen hinter dem Lenkrad die Brücke in die Zukunft und ein großer Touchscreen nebendran weist in die gleiche Richtung. Und dazu gibt’s neben zeitgemäßem Online-Infotainment auch noch ein digitales Tagebuch aus der Blockchain, das auf Wunsch detailliert das ganze Autoleben protokolliert und zum wichtigen Wertfaktor beim Wiederverkauf werden soll.

Das neue Auto sieht zwar wie alle Alfas spektakulär aus, ist aber technisch ansonsten ein eher alter Hut. Weil schon vor der Fusion von FCA und PSA auf den Weg gebracht, basiert er nicht auf einer der neueren Stellantis-Plattformen, sondern nutzt noch die gleiche Bodengruppe, die kurz nach der Jahrtausendwende etwa für den Jeep Compass eingeführt wurde.

Cockpit des Alfa Romeo Tonale

Auch die Motoren sind alte Bekannte, die für Alfa allerdings ein wenig modernisiert wurden. Der 1,5-Liter Benziner zum Beispiel, den es mit 130 oder erstmals auch 160 PS gibt, bekommt nun einen erstarkten 48-Volt-Startergenerator ins siebenstufige Doppelkupplungsgetriebe geschraubt, der mit seinen 15 kW und 55 Nm genügend Kraft hat, zumindest beim Rangieren alleine die Regie zu übernehmen und so ein paar Meter elektrischer Schleichfahrt zu übernehmen.

Das Triebwerk ist zwar vernünftig und der Verbrauch ist mit 5,7 Litern auf dem Papier so bescheiden, dass sich die Italiener mit dem 130 PS-Diesel noch ein wenig Zeit lassen können. Doch so richtig zum feurigen Image der Marke will der Vierzylinder nicht passen. Dafür sind nicht nur die Papierwerte mit 8,8 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h und 212 km/h Spitze zu bescheiden, sondern dafür fehlt dem Motor einfach die Leidenschaft. Selbst wenn man am typischen DNA-Schalter D wie dynamisch wählt und der 1,5 Liter-Motor etwas höher dreht, wirkt er trotzdem ein wenig verschlafen, lässt sich beim Beschleunigen zu viel Zeit und kommt zu früh außer Atem. Das passt vielleicht zum Segment, nicht aber zu den Erwartungen der Alfisti, die heißes Blut brauchen, damit das Herz im Takt bleibt. Und auch ein ziemlich knackiges Fahrwerk und eine angenehm direkte Lenkung können daran wenig ändern.

Infotainmentbildschirm des Alfa Romeo Tonale

Die Lust auf Leidenschaft wollen die Alfa-Manager offenbar nicht ganz ignorieren und suchen einen zeitgemäßen Weg, diese Begierde zu bedienen und trotzdem nicht gar zu sehr über die Stränge zu schlagen. Wo sie bei Giulia und Stelvio auf einen hoffnungslos unvernünftigen und deshalb so heiß geliebten V6-Biturbo mit 510 PS setzen, gibt’s für den kleinen, übrigens ebenfalls nach einem Alpenpass benannten Tonale zum Jahresende einen Plug-In-Hybriden. Der leistet in der Kombination aus einem 1,3-Liter-Benziner, einer fast 16 kWh großen Batterie und einer E-Maschine nicht nur 275 PS und kann bis zu 60 Kilometer elektrisch fahren. Sondern weil der Stromer an der Hinterachse montiert ist, gibt es dann auch Allradantrieb. Geladen wird der Akku mit bis zu 7,4 kW, sodass der Boxenstopp im besten Fall 2,5 Stunden dauert.

Zwar ist der Tonale die Fortführung des Italo-Westerns mit automobilen Mitteln, doch gibt es zwischen Leinwand und Straße einen entscheidenden Unterschied: Während im Kino mindestens einer eigentlich immer auf der Strecke bleibt, könnte Jeep Alfa Romeo mit dem Tonale sogar das Leben retten. Denn chronisch vernachlässigt, seit Jahren ohne Premiere und mittlerweile auf Giulia und Stelvio zusammengestrichen, ist die einst so glorreiche Marke nur noch ein Schatten ihrer selbst und wird nur noch von der unerschütterlichen Liebe ihrer leidgeprüften Fans am Leben gehalten. Mit dem kompakten SUV könnte sich das jetzt ändern. Das mag für echte Alfisti vielleicht ein bisschen zu zahm sein und zu vernünftig, spricht dafür aber endlich mal wieder eine größere Zielgruppe an und lockt damit vielleicht genügend Kunden in die Showrooms, damit das von Alfa selbst so viel beschworene „Cuore Sportivo“ nicht vollends aus dem Takt gerät. 

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