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Autosalon Paris: Hopium fürs Volk

Die Gänge breit und leer, die Lücken zwischen den Ständen groß wie im Gebiss eines Vorschülers, die Hälfte der Hallen abgesperrt und zwischen den wenigen großen Namen dutzende Marken, die sich ihren Namen erst noch machen müssen – zwar trotzt der Pariser Salon als einzig nennenswerte Autoshow auf dem Kontinent in diesem Jahr tapfer der Cancel-Culture im Messe-Zirkus, doch statt großer Sterne-Küche gibt es an der Seine diesmal nur ein paar Petit Fours. Denn für mehr als PS-Petitessen hat es beim Premierenzauber nicht gereicht – und wären da nicht Renault mit allein sechs Weltneuheiten und die ganzen Chinesen, dann hätten sie die Lichter auch gleich auslassen können an der Porte des Versailles. 

Aber wie soll man auch eine große PS-Party feiern, wenn ganze Automobilnationen geschlossen mit Abwesenheit glänzen. So fehlen nicht nur alle deutschen Hersteller, selbst wenn Mercedes zumindest am Vorabend der Messe in der Stadt das EQE SUV als viertes Modell der elektrischen Oberklasse-Familie präsentiert hat. Sondern auch die Asiaten haben geschlossen abgesagt – zumindest jene, die Auto-Interessierte bislang unter diesem Begriff subsummiert haben. Denn weder sieht man ein japanisches Auto in den drei luftig bestellten Hallen, noch einen der ansonsten omnipräsenten Koreaner. 

Dafür allerdings fahren die Chinesen einmal mehr groß auf – allen voran BYD: Nachdem der heimische Markführer an der Ladesäule im späten Sommer seinen Europastart angekündigt, können die wenigen Medien und die womöglich auch nicht sonderlich vielen Messegäste jetzt eine Woche lang den kompaktem Geländewagen Atto3, den großen Bruder Tang und die Oberklasse-Limousine Han bestaunen, mit denen es zum Jahreswechsel los gehen soll. Und vor allem sehen zum ersten Mal den Seal, der als Konkurrent von Ioniq 6 und Tesla Model 3 zum zweiten Sturm gehören soll und das Zeug zum europäischen Bestseller hat.

Im Windschatten der Traumtänzer fahren noch zwei weitere China-Marken, die zum Imperium von Great Wall Motors zählen und in Paris den zweiten Aufwasch von der IAA im letzten Herbst zeigen: Wey mit dem Coffee01 als preisbrechender Plug-In für die Premium-Liga, der Konkurrenten wie den BMW X5 mit bald 150 Kilometern elektrischer Reichweite düpieren soll, und Ora mit dem Funky Cat, der auf den ersten Blick nicht viel mehr ist als ein skurriler Stromer für die Stadt. Doch auf den zweiten Blick entpuppt sich der Retro-Futurist als Vorbote des elektrischen Mini, mit dem er sich die Plattform teilt, und weckt so eben doch ein bisschen mehr Interesse. Und dann ist da ja auch noch Vinfast, wo in Vietnam so langsam die ersten Exemplare der elektrischen Angreifer aufs Schiff rollen, die kurz nach dem Jahreswechsel gegen Importeure an der Ladesäule antreten wollen. 

Aus der alten Autowelt ist es vor allem die Renault Group, die in Paris die Gunst der Stunde nutzt und dort bei vier Marken gleich sechs Neuheiten enthüllt – wenngleich die allermeisten davon schon vor der Messe durch die Gazetten getrieben wurden. Das ändert aber nichts an der Faszinationskraft der elektrischen Reinkarnation des R5 Turbo, der als driftende Spaßgranate die Zeit bis zum lang ersehnten Serienanlauf des wiedergeborenen Charmeurs Ende 2023 überbrücken soll. Und es ändert auch nichts an der Verwunderung über die im Grunde folgerichtige Neuauflage für den R4, der allerdings vom familienfreundlichen Praktiker zu einem austauschbaren, natürlich elektrischen SUV in der Kompaktklasse wird und mit dem Original nicht viel mehr gemein hat als die rechteckigen Rückleuchten. Dazu gibt es bei Dacia den Manifesto, der viel mehr ist als eine Mischung aus Jeep Wrangler und GMC Hummer und deshalb ein radikales Freizeitfahrzeug, weil er den Stil für die nächste Modellgenration vorgeben soll, und bei Alpine mit der gleichen Diktion den „Alpengow“, dessen Namen sich noch als Problem herausstellen könnte. Denn eigentlich soll auch diese Flunder von einer großen Zukunft künden, ist aber benannt nach einem Phänomen, das für gewöhnlich das spektakuläre Ende eines großen Tages bezeichnet – wenn das Marketing da mal nicht unbeabsichtigt zum Propheten geworden ist. 

Wer Neuheiten mit mehr Bodenhaftung sucht, der findet sie bei Renault im elektrischen Kangoo, der im Frühjahr mit knapp 300 Kilometern Reichweite an den Start geht, bei Dacia mit dem Jogger e-tech 140, der zum ersten Hybriden der Billigmarke wird, und bei der Carsharing-Tochter Mobilize, wo der selige Twizy mit etwas mehr Hüftspeck Ende nächsten Jahres als Duo in die zweite Runde geht. 

Neben Renault kämpft nur noch Stellantis gegen den Niedergang – und das auch nur mit angezogener Handbremse. Ja, auch Renault-Chef Luca de Meo hat Nissan und Mitsubishi ausgesperrt, doch Carlos Tavares lässt gleich zwei Drittel der Großfamilie zu Hause und spendiert das Ticket nach Frankreich nur Peugeot für die offizielle Publikumspremiere des 408, DS für den DS3 mit mehr Akkukapazität und den DS7 mit mehr Lametta sowie Jeep für den Avenger, der als erstes reines Elektromodell der Marke den Weg in die Zukunft weisen soll. 

Exotische Kost aus China und ein paar mehr oder minder vielversprechende Appetithäppchen der Franzosen – auf dem Pariser Salon ist es wie mit den Petit Fours in der französischen Küche: Sie kitzeln den Gaumen und regen den Appetit an – aber satt wird man davon nicht. Aber es gibt ja auf dem Salon noch einen weiteren Newcomer, der vielleicht die Lösung verspricht. Selbst wenn es kaum einen tristeren Stand gibt als die riesige weiße Leere bei dem Start-Up aus der Normanda. Nein, nicht weil die Welt auf eine 120.000 Euro teure Luxuslimousine mit Wasserstoff-Antrieb gewartet hat – selbst wenn der Machina so elegant gezeichnet ist, dass ein EQE daneben genauso klobig aussieht wie ein Tesla Model S. Sondern weil im Namen der französischen Eigenmarke alles steckt, was es für eine optimistische Grundhaltung und einen versöhnlichen Messeausgang braucht: Hopium. Denn mit einer gehörigen Portion Hoffnung und noch mehr Opium wird sich das Stimmungsbarometer schon wieder wenden. 

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